Am Ende geht Gitarrenbauer Andreas Cuntz vor den Künstlern ehrfürchtig in die Knie. Symbolisch haben es ihm die insgesamt neun Musiker in den vorangegangenen vier Stunden akustisch gleich getan. Nicht nur als gesprochenes Dankeschön für ihre schönen Saiteninstrumente. Sie haben vor allem die verschiedenen Cuntz-Gitarren zum Klingen gebracht. Einmal mehr hat der „Gitarrenzauber“ seine magische Wirkung entfaltet.
Der Schlussakkord, den der Groß-Rohrheimer Instrumentenbaumeister jährlich mit dem Konzert „Gitarrenzauber“ unter seine Aktivitäten rund um die Frankfurter Musikmesse setzt, hat sich längst herumgesprochen. Sogar aus Kassel reisen Musikfans an, um bei rauschfreier Ausnahmeakustik die Künstler zu hören, die Cuntz ihre Ehre erweisen.
Fünf verschiedene Interpreten oder Formationen haben diesmal – sowohl solistisch als auch in Duetten, Trios oder Quartetten – das gesamte Klangspektrum abgerufen, das sich den handgefertigten Edelinstrumenten aus der Cuntz’schen Werkstatt entlocken lässt. Am Ende zur obligatorischen Session donnern sie den Dylan-Klassiker „All Along The Watchtower“ in die ausverkaufte Bürgerhalle: Ein fulminanter Schlusspunkt eines an Überraschungen nicht armen Abends.
Mike Dawes überrascht gehörig
Dass Martin Harley, Agustin Amigó und Petteri Sariola Meister ihres Faches sind, haben sie bei vorangegangenen Konzerten nachdrücklich unter Beweis gestellt. Der Überraschungsmoment des Abends bleibt dem Engländer Mike Dawes vorbehalten. In Groß-Rohrheim spielt er sein erstes Konzert außerhalb Großbritanniens – sicher nicht sein letztes. Schnell ist klar, wer Dawes beeinflusst hat: Petteri Sariola. Dawes hat sich eine ganz ähnliche Technik wie der Finne angeeignet, spielt einen wilden Mix aus Finger-Style und Tapping samt eigener Rhythmus-Begleitung. Brauchte die Truppe „Walk Off The Earth“ noch fünf Musiker, um den Hit „Somebody That I Used To Know“ auf einer einzigen Gitarre zu spielen, erledigt Dawes das im Alleingang. Dazu sitzt dem langmähnigen Schlaks der Schalk im Nacken. Gerne folgt ihm das Publikum und gewährt ihm geschlossen den erhobenen Daumen fürs Erinnerungsfoto von der Bühne herunter. Petteri Sariola besitzt die Größe, sich nicht mit Dawes in Sachen Fingerfertigkeit zu messen. Vielmehr zaubert er mit permanent wechselnder Saiten-Stimmung unerhörte Klangwelten, und setzt verstärkt auch seine wohltönende Stimme ein. Außerdem gibt’s – unterstützt von Dawes und Martin Harley – den ersten Hit, den Sariola mit einer neuen Rockband namens Dead Sirius 3000 aufgenommen hat. Der Titel „The Hole“ läuft auch schon in deutschen Radiostationen.
Der Brite Martin Harley ist diesmal ohne Band angereist und lässt die ruhigen Töne Raum greifen, nicht ohne zwischendurch zu explodieren. Hörenswert sein Ausbruch beim Tom-Waits-Klassiker „Chocolate Jesus“. Mit trockenem britischen Humor lässt er sich die prächtige Stimmung in der Halle bestätigen, um dann den traurigen „Blues In My Window“ zu spielen. Leicht schabt er den Bottleneck über die Saiten seiner Slidegitarre. Der Sound klingt rau und spannungsgeladen.
Fast schüchtern steht Agustin Amigó auf der Bühne. Das Unterstatement passt so gar nicht zu seiner Fingerkunst. Denn sein Akustik-Gitarren-Arrangement von van Halens „Jump“ und Coldplays „Viva La Vida“ sind faszinierende Interpretationen, in Perfektion gespielt.
In nicht stehen ihm das Duo Magic Acoustic Guitars nach, das zum Beginn des Abends nicht lange braucht, um mit seiner Mischung aus Flamenco, Latin und Pop-Adaptionen das hochkonzentrierte Publikum zu bannen. Matthias Waßer bearbeitet seine maßgefertigte Gitarre mit 36 Bünden, (herkömmliche Gitarren haben etwa 20 Bünde) auch mit dem Geigenbogen. Die halbe Konzertstunde ist ein Genuss.
Den Part des Singer-Songwriters übernimmt die Bruchsalerin Ina Boo mit viel Verve. Die Akkord-Arbeit des Trios ist ein netter Kontrapunkt. Leihweise darf sie das Konzert auf einer Gitarre spielen, die Cuntz seiner Großmutter Elisabeth gewidmet hat. Ob Ina und „Lisbeth“ zusammenbleiben dürfen? Ina scherzt: „Da müssen wir Papa fragen.“
© Südhessen Morgen, Dienstag, 16.04.2013